8.–21.3. 2024 / Ausstellung & Symposium
dancing within, dancing without
Mit Beiträgen von Lisa Großkopf, Marwa Abou Hatab, Anna Krumpholz, Sara Lanner, Naa Teki Martey Lebar, Flavia Mazzanti, Viktoria Morgenstern, Guilherme Pires Mata und Anna Carina Roth
Kuratiert von Guilherme Pires Mata und Sarah Kolb in Kooperation mit dem PhD Programm der Akademie der bildenden Künste Wien
Ausstellungseröffnung am Fr 8.3. ab 18 Uhr
Kollaborative Performance von Guilherme Pires Mata
Symposium am Do 21.3. 17 bis 20 Uhr
17:00 Begrüßung & Einführung | Guilherme Pires Mata & Sarah Kolb
17:15 Lecture-Performance | Marwa Abou Hatab
17:30 Lecture | Flavia Mazzanti
18:00 Performance | Sara Lanner
18:15 Keynote | Ruth Sonderegger
19:00 Podiumsdiskussion
dancing, without, within … finally
Vielleicht haben einige der Anwesenden die Relikte der kollaborativen Performance von Guilherme Pires Mata wahrgenommen, die der Ausgangspunkt für dieses Ausstellungsprojekt war und mit der die Ausstellung eröffnet wurde. Auf dem großen Tisch im Eingangsbereich liegen neben Perlen, Perücken, Federn, Wimpern, Schminke, Glitzer, Strümpfen, Nadeln und Fäden auch einige Bücher, eine Art theoretisches Fundament und konzeptuelles Beiwerk der Ausstellung. Diese Bücher wurden im Rahmen der Performance gewissermaßen zum Schweigen gebracht – sie sind jetzt verhüllt, tragen Masken, die ihnen aufgezeichnet, eingestickt, aus dem Moment heraus verpasst wurden. Indem die Bücher zur hintergründigen Basis für neue Arbeiten werden, gibt die Ausstellung an ihrer Stelle Einblicke und Perspektiven frei. Donna Haraway etwa war schon dabei, als das Ausstellungskonzept gerade erst im Entstehen war. In ihrem Buch Staying with the Trouble schreibt Haraway: »Es ist von Gewicht, mit welchen Erzählungen wir andere Erzählungen erzählen. Es ist von Gewicht, welche Knoten Knoten knoten, welche Gedanken Gedanken denken, welche Beschreibungen Beschreibungen beschreiben, welche Verbindungen Verbindungen verbinden.«*
So wie Haraway angesichts der sozialen und ökologischen Herausforderungen der Gegenwart auf Formen des In-Beziehung-Tretens und Sich-Verwandt-Machens verweist, auf Relationen und Naheverhältnisse, aber auch Distanzen und Grenzen zwischen Individuen und Arten, so liegt auch dieser Ausstellung eine Idee eines gemeinsamen Gestaltens, eines aneinander und miteinander Wachsens und Wachsen-Lassens zugrunde. Nach Haraway braucht unsere Zeit eher ergebnisoffene Praktiken der Sympoiesis und des Mitmachens als autopoietische Verfahren einer zielorientierten Selbstverwirklichung. Gemeinsam etwas gestalten, Räume und Zeiten, Konzepte und Strukturen, Abläufe und Einsichten, ist ein spannender Prozess – und eine Herausforderung. Schließlich gilt es dabei nicht nur, allerlei zum Laufen zu bringen, sondern auch, eigene Vorstellungen und Grenzen ebenso wie die der anderen zu erfahren. Was für ein Chaos – dancing within, dancing without. Die Sinnsuche und Orientierung verläuft im Innen, verläuft im Außen, verläuft sich. Wohin wollten wir noch?
Was verbindet uns? Plötzlich ist da ein Titel, ein Bild im Raum, ein Ansatz von Konsens, ein gemeinsamer Klang. Stuart Hall spricht in seinem Essay zur Frage »Who Needs ›Identity‹?« von einer Logik der Vervielfältigung, von einem Prozess des Mehr-als-Eins-Werdens, von einer Art »Grenz-Effekt« (frontier-effect),** dem übrigens auch Guilhermes Performance ihren Titel entlehnt. Die Idee von Identität und Identifikation, das klare Ausstellungskonzept weicht dem Bild einer offensichtlichen Nahtstelle (suture), einer Zone der Berührung, in der sich vielfältige Identitäten und Nicht-Identitäten aneinander knüpfen und ineinander verschlingen – Personen und Konzepte, Diskurse und Praktiken, Wahrnehmungen und Überzeugungen. Im Tumult der vielen Tendenzen kristallisiert sich Verbindendes heraus, nach und nach werden Relationen und Knotenpunkte deutlich: ein grundlegendes Unbehagen an ästhetischen Kategorien und Rollenzuschreibungen (Lisa Grosskopf, Anna Krumpholz, Viktoria Morgenstern, Anna Carina Roth), das Spiel mit Identität und Alterität (Guilherme Pires Mata), die Frage nach symbolischen und physischen Grenzen in institutionalisierten und sozialen Räumen (Marwa Abou Hatab, Naa Teki Martey Lebar, Sara Lanner), das Verschwimmen und Verschwinden von menschlichen und nicht-menschlichen Kulturen zwischen materiellen und virtuellen Realitäten (Flavia Mazzanti).
In der Auseinandersetzung mit derlei Problematiken und Fragen kommen unterschiedliche Strategien zum Einsatz: Auflösung von Kategorien, Hierarchien und Genres; Hybridisierung und/oder Verschränkung unterschiedlicher Medien, Sprachen, Kunststile und Lebensformen; Sichtbarmachung und Anklage sozialer und institutioneller Ausgrenzungsmechanismen; eine Rückeroberung des Körpers als widerständiges materielles Medium.
Als peripheres Phänomen stehen gerade die Grenzen im Zentrum des Schlacht- oder auch Spielfelds dieser Ausstellung: nicht nur, weil das Normative unsere Wahlmöglichkeiten und unsere kollektive Existenz einschränkt und determiniert, sondern auch, weil Widerstand und Boykott gegen die völlige Absorption in ein vermeintliches System der Freiheit aka Nekro-Ultraliberalismus notwendig erscheinen.
So ist auch der Titel dancing within, dancing without ein Satz ohne Subjekt, dessen Verb im present progressive steht und dabei gänzlich unentschieden bleibt – ein unauflösliches Paradoxon, das unsere Rhythmen und Harmonien wie die unserer Mittänzer*innen erfüllt – inmitten einer un/freiwilligen Choreographie des Hin und Her, gegen deren Barrieren wir uns mittels unserer bewussten und selbst konstruierten Grenzen auflehen. Wir sind alle sehr unruhig zwischen Grenzkampf und Grenztanz. Weiterhin stellen wir uns die Frage, mit welchen Erzählungen Erzählungen erzählt, Gedanken gedacht, Verbindungen verbunden werden könnten. Es ist von Gewicht, welche Unruhe unsere Unruhe und die der anderen beunruhigt. Nichts anderes haben wir uns auch für heute und alles Weitere vorgenommen: Unruhig bleiben und uns weiterhin verwandt machen.
Textcollage: Sarah Kolb / Textbausteine: Guilherme Pires Mata
* Donna J. Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, übersetzt von Karin Harrasser, Frankfurt: Campus Verlag 2018, S. 23.
** Stuart Hall: »Introduction: Who needs ›Identity‹?«, in: Questions of Cultural Identity, eds. Stuart Hall and Paul du Gay, London: Sage Publications 1997, S. 3.















Fotos © Nadine Jochum