30. Mai bis 16. Juni 2025 / Ausstellung
Light Injuries. Marta Beauchamp
Routinen modellieren das Leben nach mehr oder weniger regelmäßigen Phasen von Aktivität und Passivität. Lebewesen schwingen generell mit den Rhythmen der Umwelt, bis plötzliche Abweichungen diesen Fluss stören. In ihrer Mixed-Media-Installation und Performance-Reihe Light injuries erforscht Marta Beauchamp mögliche Bruchstellen im natürlichen Gleichgewicht anhand von Schäden, die Licht bei Pflanzen und Tieren verursacht, wenn der natürliche Tag-Nacht-Rhythmus aus dem Lot gerät.
Die Ausstellung übersetzt die Ergebnisse ausgewählter wissenschaftlicher Publikationen in raumgreifende und partizipative Strukturen, mit denen das gemeinsame Schwingen unter veränderlichen Umweltbedingungen sinnlich erfahrbar wird.
Eröffnung am Fr 30.5. ab 18 Uhr mit einer Performance von Marta Beauchamp
Öffnungszeiten
Fr 30.5. bis So 1.6. von 14–18 Uhr / Sa & So mit Performance um 16 Uhr
Fr 6.6. bis So 8.6. von 14–18 Uhr / So mit Workshop Schritttempo 16–18 Uhr
Kuratiert von Sarah Kolb
Ein Projekt in Kooperation mit dem Vienna Independent Space Index Festival
Mit freundlicher Unterstützung des Bezirks Rudolfsheim-Fünfbaus















Sarah Rinderer
hell hell hell etwas dunkler
Light Injuries von Marta Beauchamp, 30. Mai – 16. Juni, viktoria, Wien
1.
Der eigene Schatten betritt die Ausstellung Light Injuries von Marta Beauchamp vor
einem selbst, wächst hinein in viktoria – Raum für künstlerische Forschung und
Social Design – über den Terrazzoboden. Grau. Mit Unterbrechungen. Splittergroß. Weiß.
Weiß. Bräunlich. Weiß. Schwarz. Farbspritzer. Weiß. Schwarz. Schwarz. Weiß. Riss.
2.
Light Injuries
wenn das natürliche Lichtgleichgewicht aus dem Lot gerät
Tag-Nacht-Rhythmus-Auf-Ab-Schürfungen
Wachstums-Ein-Schnitte
belichtungsblaue Flecken
Innere-Uhr-Blessuren
Lichtverletzungen
nur scheinbar leicht
kein Abheilen ohne bleibende Spur
3.
Der Riss im Boden ausgefüllt mit blauem Wachs. Ihm nachgehen zur hinteren Wand
des Ausstellungsraums. Über die gesamte Länge der regelmäßige Takt von 50 Häufchen
Erde, aus denen Tomatenpflanzen wachsen. Noch nicht höher als eine Hand. An den 50
Tagen vor der Eröffnung hat sie sie täglich ausgesät – ihre eigene Kontrollgruppe, die
nun im Licht-Dunkel-Zyklus der Ausstellung weiterwächst.
4.
Referenz: Experiment von Colin S. Pittendrigh und Dorothea H. Minis 1972.
Jeweils 100 Fruchtfliegen werden vier unterschiedlichen Licht-Dunkel-Zyklen ausgesetzt:
12h Licht – 12h Dunkelheit
10,5h Licht – 10,5h Dunkelheit
13,5h Licht – 13,5h Dunkelheit
Dauerlicht
Ergebnis: Bei einem 24-Stunden-Rhythmus leben die Fruchtfliegen am längsten.
5.
Am Ende der Wand Blick nach oben. Knapp unter der Decke vier Cyanotypien.
Je 100 Wachssplitter, die sie im Dunkeln auf lichtsensitiv präpariertem Papier platziert,
in der Sonne belichtet hat.
Die Stellen, an die kein Licht kam, im Dunkelblau wie ein Schwarm. Hell. Hell. Hell.
Etwas dunkler. Hell. Hell.
Direkt gegenüber, Blick über die 50 Tomatenpflanzen hinweg, vier weitere
belichtete Blätter. Der Schwarm auf ihnen kleiner geworden. Nur mehr so viele
Wachssplitter, wie von 100 Fruchtfliegen im Experiment nach 50 Tagen in den vier
Licht-Dunkel-Zyklen noch leben.
6.
unterbrechen beobachten berichten
notieren einbeziehen formulieren
testen vergleichen entwerfen
untersuchen übersetzen freilegen
7.
Referenz: Experiment von Harry R. Highkin und John B. Hanson 1953.
Tomatenpflanzen werden unter drei verschiedenen Lichtbedingungen aus Samen gezogen:
12h Licht – 12h Dunkelheit
6h Licht – 6h Dunkelheit
24h Licht – 24h Dunkelheit
Ergebnis: Unter Bedingungen, die zu stark vom 24-Stunden-Zyklus abweichen, zeigen
Pflanzen ein gehemmtes Wachstum.
8.
Jeder Raum für sie ein eigenes System, dessen Rhythmen sie mit aufnimmt in ihre
Versuchs-Auf-Ausstellung. Drei Röhren aus geschöpftem Papier, grau mit dunkleren
Fragmenten. Als wären sie unterschiedlich hoch aus dem Terrazzoboden gewachsen,
proportional zu den Tomatenpflanzen im Experiment. Je länger die Lichteinstrahlung,
desto größer die aus schwarzem Sand gestreuten Schatten. Zu einer bestimmten Tageszeit
stimmt ihre Außenkante exakt mit der Wachstumsrate des von draußen einfallenden Lichts
überein. Heizkörper und Papierröhren haben den selben Wellenrand. Die Formate der
Cyanotypien das durchschnittliche Größenverhältnis der Fenster. Und an die Heizungsrohre
an der Decke hat sie mit blauen Seilen zwei Wachs-Röhren gehängt, wie Schaukeln.
Aber sie nimmt in ihre Arbeiten auch die verschiedenen Systeme und Rhythmen ihrer
Ausbildungen und Tätigkeitsbereiche mit auf. Als Cellistin, als experimentelle Musikerin,
als Neuro-Scientist mit Schwerpunkt Chronobiologie, als forschende Künstlerin. Dort,
wo in der strengen Disziplinentrennung Risse entstehen, bringt sie sie mit-in-einander
zum Schwingen.
9.
alles beginnt mit ihren Händen
Finger über Zeilen wissenschaftlicher Papers
feuchter Papierzellstoff, Wachs
Materialien in der Hand
immer wieder weich, verformbar
Papierpartikel im Wachs
Wachspartikel im Papier
manches geht im Produktionsprozess kaputt
lässt sich nur gebrochen wieder aus der Form nehmen
10.
wiederholen widersprechen begegnen
kombinieren erheben übertragen
ausführen anwenden zusammenfassen
wiederholen fragen performen
11.
am Boden ein Rollbrett mit Mischpult
bei ihrer Performance mit Michael Fischer am letzten Tag der Ausstellung
Raumrhythmen Installationsinstrument
Wellenklang, der sich auf die Ohren legt wie sie ihre Handflächen auf die Röhrenöffnungen
Soundmaterial modellieren durch Körper-Kippbewegungen
Sinus Signale Feedback Frequenzen
aus zwei Lautsprechern, die gemeinsam im Raum oszillieren
Improvisieren
Papier an Papier Pulsieren Vibrieren
zirkadianes Zittern
Lichtblessur-Partitur
die Stille danach weich geworden
als ließe sie sich formen wie feuchtes Papier
12.
Im viktoria geht das Neonlicht an. Schritte auf dem Weg nach draußen – ins Dunkel –
über den Farbrhythmus des Terrazzobodens. Vorbei an Röhre, Röhre, Wachs, Papier,
Wissenschaft, Tomatenpflanzen, Kunst, Experiment, Röhre, Dunkelheit, Licht. Riss.
Marta Beauchamps forschende Kunst macht die Bruchstellen sichtbar. Bleibende Spuren.
Und manchmal, ausgefüllt mit blauem Wachs – der Versuch einer beginnenden Reparatur.